Facettenreich aber überbeansprucht
Das übergeordnete stadträumliche Konzept zum linken Seeufer legt nahe, dass jedes «Kompartiment» eine für sich eindeutige Widmung und klar benennbare Eigenart hat. Für das Gebiet der Sukkulenten-Sammlung wäre «Eindeutigkeit» ein herber Verlust und eine Enttäuschung für viele. So artenreich wie die Sammlung sprüht das Gebiet «Sukkulenten-Sammlung» von Facetten und Anspruchsgruppen: Es ist historischer Stadteingang, Kompartiment am See und Teil des Quartiers Enge, dem Wassersport und der Erholung ebenso gewidmet wie der Botanik. Nicht zuletzt muss es als Mobilitätshub für Autos, Velos, Busse und Boote robust und widerstandsfähig sein. Damit sich das Gebiet in seiner Vielfalt an Bezügen und Eigenschaften weiterentwickeln kann, sind diese klar zu benennen und zu verorten.
Eigenständiges Kompartiment mit Strahlkraft
Ohne eine eindeutige und ausschliessende Umwidmung des Ortes anzustreben, wird der Raum reorganisiert: Der Mythenquai wird als spezifischer Abschnitt einer abwechslungsreichen Corniche aufgewertet, der Stadtraum von Parkierung befreit und so neuer Raum für den Sukkulenten-Park sowie die erweiterte Sammlung freigespielt. Alle Anspruchsgruppen profitieren und zugleich gewinnt der Ort an Prägnanz und Strahlkraft.
Die neuen Stadträume – «Sukkulenten-Park» mit «Belvoir-Platz» – bieten unterschiedliche Angebote für vielfältige Nutzungen. Zugleich werden sie nicht eindeutig programmiert und entfalten ihren Charakter weiterhin über das Jahr und die Woche auf vielfältige Weise. Der Belvoir-Platz verleiht den öffentlichen Sukkulenten-Park, Sukkulenten-Sammlung, Belvoir-Park und WAPO eindeutige Adressen mit Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Der übrige Park liegt geschützt vom Verkehr als ruhiger Ort in zweiter Reihe. Seine Struktur bleibt robust und aneignungsfähig. Die Bestandesbäume können wenn möglich und sinnvoll erhalten und zugleich eine grosszügige Offenheit und Flexibilität für temporäre und lokale Extrembelastungen aufrechterhalten werden – seien es aussergewöhnliche Veranstaltungen, zusätzliches Veloaufkommen an heissen Badetagen oder die Winterruhe der Boote.
Ein lebendiges Museum als hängende Gärten
Die neue Sukkulenten-Sammlung knüpft an die Geschichte hängender und terrassierter Gärten an und erzeugt eine einmalige Ausgangslage für ein spektakuläres Besuchererlebnis bei zugleich optimierten Betriebsbedingungen. Im hängenden Sukkulenten-Garten wird die Künstlichkeit der fremden Pflanzen am Zürcher Seeufer inszeniert und ein lebendiges Museum geschaffen, dass über den Standort hinaus strahlt und sich doch zugleich mit ihm verzahnt. Die Stufen der Schaubereiche steigen aus dem Sukkulenten-Park empor und erzeugen auch aus dem Strassenraum der «Corniche» stadteinwärtsfahrend einen prominenten Auftritt für die überregional wirkende Institution. Die Besucher werden über einen Ausstellungsbereich empfangen und betreten am Ende der Blickachse die Schauhäuser. Hier eröffnet sich der Blick nach oben in die terrassierte und modellierte Landschaft, welche durch Rampen mit geringer Steigung hindernisfrei durchschritten werden kann. Immer wieder bietet sich die Gelegenheit über kurze Treppen schneller empor zu steigen oder die Spindeltreppen für eine Pause oder den vorzeitigen Abstieg zu nutzen. Ganz oben angekommen erwartet die Besuchenden das höchste Schauhaus mit den spektakulärsten Pflanzen und zugleich die weitläufige Sicht über den Zürichsee und Stadtkörper. Die Terrasse zum See wird nicht nur Pflanzeninteressierten bekannt sein, sondern ist auch allein als einzigartiger Ort am See einen Besuch wert.
Ergänzend zu diesem institutionellen neuen Grossbaustein wird die «Ruine» der heutigen Sukkulenten-Sammlung partiell erhalten und für Nutzungen geöffnet, die mit den bestehenden räumlichen Ressourcen auskommen. Die gebundene Graue Energie bietet damit niederschwellig Möglichkeiten als Raumspeicher für heute noch unbekannte Bedürfnisse und Entwicklungen.
Testplanung und Vertiefungsstudie Gebiet Sukkulenten-Sammlung, Zürich, 2022-23
Auftraggeberschaft: Amt für Städtebau Zürich
Team:
Donet Schäfer Reimer Architekten
S2L Landschaftsarchitekten
Rombo – Räume Mobilität Zukunft
Prof. Philippe Koch, ZHAW
Durable Planung und Beratung