Die Annäherung an die Aufgabe aus der kleinsten räumlichen Einheit – dem Zimmer – führt uns zum Essay «A Room of One’s Own” der Schriftstellerin Virginia Woolf. Sie hat in den 1920er Jahren das Vorhandensein eines Zimmers für sich allein – neben der wirtschaftlichen Unabhängigkeit– als Voraussetzung für die Emanzipation der Frau verstanden. Dieses Recht auf Individualität für alle Menschen und den eigenen (Frei-)Raum mag heute selbstverständlich wirken, ist es je nach Lebenskonstellation aber nicht. Umso mehr bildet eine Auseinandersetzung mit den menschlichen Bedürfnissen sowie eine möglichst hohe Mitbestimmung an der Ausgestaltung des eigenen Lebensumfeldes eine entscheidende Voraussetzung für die Wohnzufriedenheit und die Bereitschaft für ein Zusammenleben auf begrenztem Raum.
Ebenso wichtig wie die Bedeutung und die Möglichkeit zur Aneignung erscheint uns aber auch die Architektur des Zimmers – seine bauliche Gestalt. Das Zusammenspiel von Wänden, Decken, Türen, Fenstern des einzelnen Raums in Material und Dimension sowie die Beziehung zur Umgebung scheint ein entwerferischer Gemeinplatz zu sein, die präzise Untersuchung von Raum und Ausdruck machen den Wohnungsbau aber erst zur Architektur.
In Querrichtung verlegte Balken strukturieren die Tiefe der Individualräume und raumhohe Fenster ermöglichen eine interaktionsreiche Beziehung nach Aussen ohne Balkon. Drehflügeltüren entlang der Fassade schaffen Grosszügigkeit innerhalb der Lebensgemeinschaft, sind akustisch aber gut genug, um Rückzug zu gewährleisten. Zugunsten von einer Diversität an räumlichen Stimmungen wechseln sich bodentiefe Fenster und solche mit Brüstung in der Fassade ab. Die Oberflächen der gemauerten Lehmwände werden partiell durch Lehmputz veredelt, die Struktur der roh belassenen Bereiche spielt mit den Holzbalkendecken zusammen.
Zur Abwechslung Ordnung
Die Lochfensterfassade trägt das Thema des «Prinzips Zimmer» nach Aussen und erzeugt durch die grossen Dimensionen und die Regelmässigkeit nahezu einen strukturellen Ausdruck. Subtile Unterscheidungen ergeben sich über die Proportionen und Grössen der einzelnen Fenster. Gleichzeitig wird durch die Abwechslung der Fensterformate und den gestalterischen Einbezug von funktionalen Elementen wie Regenrohren die Massstäblichkeit der Wohnung in der Fassade zugunsten einer ganzheitlichen Lesart des Volumens überspielt. Mit diesen gestalterischen Massnahmen wird eine grössere Ordnung in der Fassade implementiert, die zwischen der kleinsten Einheit und dem Ganzen vermittelt.
Aufgrund seiner freistehenden Volumetrie und der überschaubaren Grösse wird die Fassade des Gebäudes als Einheit begriffen. So werden die Fenster und die Loggien nach Westen grosszügig und horizontaler ausgestaltet, um der räumlichen Weite mit Aussicht in den Park Rechnung zu tragen – dies jedoch, ohne dass das Volumen dabei auseinanderfällt. Im Osten erlauben französische Fenster eine reichere Interaktion mit dem Hofleben, ohne weitere Aussenräume einschneiden zu müssen.
Studienauftrag auf Einladung Erlenmatt Ost Baustein 12, 2021-22
Bauherrschaft: Stiftung Habitat
Team
Architektur: Donet Schäfer Reimer Architekten GmbH
Baumanagement: Caretta Weidmann Baumanagement AG
Bauingenieur: Ferrari Gartmann AG
Elektroingenieur: Partner Ingenieure AG
HLKK-Ingenieur: Waldhauser + Herrmann AG
Sanitär-Ingenieur: BLM Haustechnik AG
Fachkoordination: BLM Haustechnik AG
Bauphysik: BAKUS Bauphysik + Akustik GmbH
Brandschutz: Brandabschnitt GmbH
Nachhaltigkeit: preisig:pfäffli
Lehmbau: LEHMAG AG & TERRABLOC
Schreinerarbeiten: B4 Moebel GmbH